Lange Zeit standen ausschließlich Risikofaktoren im Zentrum von Forschung und Wissenschaft sowie die Frage, welche Risiken sich auf die kindliche (und menschliche) Entwicklung negativ auswirken. Risiken wurden dabei in zwei Hauptgruppen unterteilt:

In kindbezogene Risikofaktoren, so genannte Vulnerabilitätsfaktoren (Vulnerabilität = Verletzlichkeit), und in Risikofaktoren aus der Umwelt, die auch als Stressoren bezeichnet werden (Abb. 1).

Vulnerabilitätsfaktoren
- Prä-, peri und postnatale Faktoren (z. B. Frühgeburt (...))
- Genetische Faktoren (z. B. Chromosomenanomalien) (...)
- Chronische Erkrankungen (z. B. Asthma (...))
- Schwierige Temperamentsmerkmale (...))
- Unsichere Bindungsorganisation
- Geringe kognitive Fertigkeiten (...))
- Geringe Fähigkeiten zur Selbstregulation von Anspannung und Entspannung

Risikofaktoren
- Niedriger sozio ökonomischer Status, chronische Armut(...))
- Psychische Erkrankungen eines bzw. beider Elternteile (...)
- Niedriges Bildungsniveau der Eltern
- (...) alleinerziehender Elternteil
- Erziehungsdefizite/ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern
- Sehr junge Elternschaft (vor dem 18. Lebensjahr) (...)
- Häufige Umzüge (...)

Traumatische Erlebnisse
(...)

(Wustmann, 2004, S. 38)

(Abb. 1)

 

Ob ein Risikofaktor die Entwicklung eines Kindes beeinflusst, hängt von verschiedenen Faktoren ab (Scheithauer & Petermann 1999, S. 6 f):
-    Vulnerabilität des Kindes – erhöhte Verletzlichkeit in besonderen Lebensphasen z.B. beim Übergang in die Kindertagestätte/Schule
-    Häufung der Risikofaktoren (Kumulation)
-    Dauer und Kontinuität der Risikofaktoren
-    Eigene (subjektive) Bewertung der Risikofaktoren



Aufgrund eines Paradigmenwechsel durch Forschungserkenntnisse (z.B. Kauai-Studie; Abb. 2) und einer daraus resultierende salutogenetische Sichtweise entstand eine neue Perspektive, die den Fokus auf die Ressourcen und Schutzfaktoren eines Menschen legte und Grundlage der Resilienzforschung wurde.

Die Kauai-Studie
Auf der Insel Kauai wurde der gesamte Geburtsjahrgang 1955 unter der Leitung von der Pionierin der Resilienzforschung Emmi Werner von der pränatalen Entwicklungsperiode an sowie im Alter von 1, 2, 8, 10, 18, 32 bis zum Alter von 40 Jahren untersucht. Schon in der pränatalen Entwicklungsperiode konnten eine Vielzahl biologischer und psychosozialer Risikofaktoren, kritischer Lebensereignisse, aber auch schützender Faktoren in der Entwicklung dieser knapp 700 Kinder identifiziert werden.
Bei ca. 30 % der Kinder dieser Gruppe bestand ein hohes Entwicklungsrisiko, da sie in chronischer Armut aufwuchsen oder in Familien hineingeboren wurden, die durch elterliche Psychopathologien und dauerhafter Disharmonie betroffen waren.
2/3 der Kinder, die mit zwei Jahren vier oder mehr Risikofaktoren ausgesetzt waren, entwickelten schwere Lern- und Verhaltenstörungen während der Schulzeit. Einige wurden in früher Jugend straffällig und hatten schwerwiegende psychische Probleme.
1/3 der untersuchten Kinder entwickelte sich jedoch trotz der erheblichen Risiken, denen sie ausgesetzt waren, zu zuversichtlichen, standhaften und fürsorglichen erwachsenen Menschen. Sie wiesen auf unterschiedlichen Ebenen schützende Faktoren auf, wie eine stabile Bindung zu einer Bezugsperson, stabile und harmonische Familienverhältnisse oder hohe soziale Kompetenzen.
Die Kauai-Studie gilt als die bekannteste und älteste Studie zur Untersuchung von Resilienz.

(Abb. 2)


Bei den Schutzfaktoren werden personale Ressourcen, familiäre und soziale Ressourcen unterschieden. (Abb. 3) Sie können Risiken mildern und entwicklungsfördernd wirken (vgl. Wustmann, 2004, S.44 ff.) Die personalen Ressourcen werden nochmals in kindbezogene Ressourcen und Resilienzfaktoren unterschieden.

 

Personale Ressourcen

Positives Temperament Erstgeborenes Kind

Kognitive Fähigkeiten
Positive Selbstwahrnehmung
Selbstwirksamkeitserwartungen
Soziale Kompetenzen
Aktive Bewältigungsstrategien
Kreativität und Phantasie

Familiäre Ressourcen

Stabile Bindung zu mindestens einer Bezugsperson
Emotional warmes aber auch klar strukturiertes Erziehungsverhalten (autoritativer Erziehungsstiel)
Positive Beziehungen zu Geschwistern
Merkmale der Eltern

Soziale Ressourcen
Soziale Unterstützung
Qualität der Bildungsinstitution
Soziale Modelle
(nach Bengel et al. 2009)

(Abb. 3)

 

Schutzfaktoren
Schutzfaktoren und Risikofaktoren stehen miteinander in Wechselwirkung und beeinflussen die Entwicklung eines Kindes.

(Abbildung 4)

 

 

Je nach Lebenssituation und Anforderungen ist es wichtig, die Schutzfaktoren beim Kind selbst, in der Familie oder im weiteren Umfeld des Kindes zu stabilisieren und zu stärken (vgl. Fröhlich-Gildhoff et al., 2007, S.9) wobei ein mehrdimensionaler Ansatz als außerordentlich wirksam gilt (vgl. Wustmann, 2004, S.143).
Auf den gesammelten Erkenntnissen der Wissenschaft aufbauend, wurden verschiedene Programme zur Prävention und Intervention entwickelt, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen.
Auf der Ebene der familiären Faktoren wurde beispielsweise unser Elternkurs „Eltern stärken mit Kursen in Kitas“ (Fröhlich-Gildhoff et al., 2007) zur Stärkung der Erziehungskompetenz entwickelt.
Zur Stärkung  der Resilienzfaktoren wurde von unserem Forschungszentrum das Programm „PRiK“ (Prävention und Resilienzförderung in der Kita) entwickelt und evaluiert.